Big
Brother im Netz?
Google und Co. zeigen nicht alles an, was das Netz zu bieten hat - zumindest nicht in Deutschland. Auch der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow will missliebige Seiten sperren lassen.
Das Internet – unendliche Weiten... Jeder der es will, ist mit geringem Aufwand in der Lage, seine eigenen Inhalte online zu stellen. Ob es um Orchideenzucht geht, den Kontinentaldrift oder die neuesten Verschwörungstheorien – zu jedem nur erdenklichen Thema finden sich Inhalte, jeder kann sein eigener Publizist werden. Und weil es auf der Welt nicht nur schöne Dinge gibt, finden sich im Netz natürlich auch Inhalte, die anderen aus den verschiedensten Gründen ein Dorn im Auge sind. Doch bei mehreren Milliarden aktiven Seiten ist eine Kontrolle unmöglich.
Sollte man zumindest meinen: Doch Versuche, missliebige Inhalte aus dem Netz zu tilgen, gibt es schon, seitdem das Internet anfing, vom Wissenschaftsnetz zum Medium für die breite Masse zu werden. Bereits Mitte der Neunziger Jahre scheiterte etwa die Deutsche Bahn AG mit dem Versuch, Provider dafür in Haftung zu nehmen, dass sich über ihre Leitungen die auf einem niederländischen Server gelagerten Inhalte der verbotenen Zeitschrift „Radikal“ anschauen ließen. Das Unternehmen Zukunft störte sich daran, dass sich so Bauanleitungen für die berüchtigten Hakenkrallen abrufen ließen, mit denen seinerzeit Castor-Gegner gerne Bahn-Oberleitungen zerstörten.
Damals stellte der Bundesgerichtshof das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. Im vergangenen Jahr zeigt die Bahn allerdings, dass sie ihre Lektion gelernt hat: Wegen der gleichen Inhalte wurden die Betreiber der Suchmaschinen Google und Altavista abgemahnt. Zu einem Gerichtsverfahren kam es diesmal nicht – die Unternehmen übten vorauseilenden Gehorsam und entfernten die Seiten aus ihrem Index. Folge: Die Seiten existierten zwar weiterhin, doch wurden sie von den Maschinen nicht mehr als Suchergebnisse präsentiert.
Glaubt man Alvar Freude von odem.org, einer Site, die sich den Kampf für ein freies Internet auf die Fahnen geschrieben hat, dann ist die Intervention beim Suchmaschinenbetreiber inzwischen längst gängige Praxis. In der Tat: In der deutschen Version von Google lassen sich zum Beispiel diverse rechtsradikale Seiten partout nicht auffinden. Wer dem Unternehmen dabei allerdings edle Motive unterstellt, liegt falsch. Schafft man es mittels eines nicht allzu komplizierten Tricks, direkt zur amerikanischen Ausgabe vorzudringen, so erscheinen stormfront.org und ähnliche an oberster Stelle der Liste. Dafür blockierte Google in den USA zeitweise die Ausgabe von Seiten, die sich kritisch mit dem Thema Scientology auseinandersetzen. Über weitere Fälle vorauseilenden Gehorsams, vor allem durch Intervention von Wirtschaftsunternehmen, wird zwar spekuliert, doch lassen sich Eingriffe nicht beweisen. Die Suchmaschinen machen die Kriterien, nach denen Seiten gelistet werden, nicht öffentlich.
Michael Peter Schmidt, einen weiteren Netz-Aktivisten, hat das dazu gebracht, zensoogle.de ins Netz zu stellen (unter www.wichtig.de), eine Seite, die dem Benutzer vor allem erklärt, warum bestimmte Suchwörter pfui-bah sind und deshalb nicht bearbeitet werden. Eingriffe ins Netz über die Suchdienste sind dabei so dabei so perfide wie wirkungsvoll: Da sich vor allem Google eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet hat und niemand sich im Netz ohne solche Hilfe zurechtfindet, ist Blockade durch den Betreiber fast gleichbedeutend mit einer Zensur. Fatalerweise kommt dazu, dass das Kerninteresse von Google, Altavista und Co. nicht darin besteht, die freie Meinungsäußerung zu schützen, sondern vor allem darin, unberührt von Gerichtsverfahren Geld zu verdienen – eine missliebige Seite zu sperren, kann eine Menge Ärger sparen.
Das von den Jugendministern der Länder getragene jugendschutz.net und die private Bertelsmann-Stiftung arbeiten derzeit schon gemeinsam an regelrechten schwarze Listen, nach denen Seiten bei Suchmaschinen per Selbstverpflichtung nicht mehr gelistet werden sollen. Dazu kommt eine Initiative des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow: Dieser wies im vergangenen Jahr knapp 80 Provider per Sperrungsverfügung an, den Zugang zu zwei Websites schlicht auf technischem Weg zu blockieren. Hier ging es allerdings nicht ohne Widerstand ab: Derzeit sind noch diverse Gerichtsverfahren offen, die Seiten bei den meisten Anbietern weiterhin erreichbar.
Bei den Seiten handelt es sich um Nazi-Propaganda. Nun dürfte Konsens darüber bestehen, dass solche Inhalte nicht gerade zu den schützenswertesten im Netz gehören. Genau deshalb, so glaubt Freude, eignet sich das Thema aber perfekt als Türöffner. Denn Büssow selbst hat bereits weitere Themenfelder für Sperrungsverfügungen definiert, sollte der Einstieg gelingen. Unter anderem sind das neben der allfälligen Pornographie auch Gebiete, in denen wirtschaftliche Interessen Dritter berührt werden. Wettbewerbsrecht etwa, Persönlichkeitsrechte oder Verstöße gegen Lizenzbestimmungen.
So bestätigte etwa der Bundesverband der Phono-Wirtschaft, man verfolge das laufende Verfahren mit großem Interesse. Wird die Praxis vor Gericht für einwandfrei erklärt, könnten damit ein Link zu Kazaa oder eine Sammlung von eDonkey-Links das Aus für die eigene Seite bedeuten – mal ganz abgesehen davon, was ein einziger unüberlegter Forums-Beitrag für Auswirkungen haben könnte. Dazu kommt, dass Büssow die Provider langfristig dazu bringen will, von sich aus aktiv zu werden und Seiten zu blockieren. Inhaltskontrolle, die, wenn überhaupt, in staatliche Hände gehört, würde damit auch hier Privaten anheim gegeben.
Noch ist unklar, ob solche Vorstöße wirklich umgesetzt werden, doch die Ansätze dafür sind vorhanden. Das eigentliche Problem liegt jedoch tiefer: Wieder einmal zeigt sich, dass transparente und vor allem weltweit verbindliche Normen fehlen. Jeder, der in Deutschland strafrechtlich relevante Inhalte in Netz stellt, kann dafür auch jetzt schon ohne weitere Maßnahmen erforderlich wären zur Verantwortung gezogen werden – das gilt für politischen Extremismus genauso wie für Pornographie ohne Alterskontrolle. Allerdings endet der Zugriff des Staatsanwalts an der Landesgrenze und andere Länder entscheiden nach anderen Kriterien.
Doch blendet man Inhalte aus, die man rechtlich in nicht den Griff bekommt,
trifft man die User und nicht die Urheber – und öffnet zudem
dem Missbrauch Tür und Tor, meinen die Aktivisten um Freude: „Niemand
wird Nazi dadurch, dass er auf eine Nazi-Site stößt. Leute, die
in der Szene sind, werden ihre Inhalte auch weiter finden – im Netz
und anderswo.“ Ein Problem hat man zudem mit dem User-Bild, das durch
den Ruf nach Sperrungen gezeichnet wird: „Wenn man das auf die Spitze
treibt, müsste man auch dummen Leuten das Wahlrecht entziehen.“
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