Warum nicht mal Viren sammeln?

Sasser, Netsky und Co. - elektronische Schädlinge sorgen Jahr für Jahr für Milliardenschäden. Wenig weiß man dagegen darüber, wie die Viren in die Welt kommen. Dabei lassen sich die Spuren der Autoren im Netz schnell finden.

Einige Links zu Bluesrock-Größen wie Stevie Ray Vaughn oder Johnny Winter, Grüße an den Freund und Arbeitskollegen, der als "the best Co-Sysop in the World" bezeichnet wird, also als weltbester Computer-Arbeiter, und dazu noch ein bisschen Privates mehr. Von solchen Websites gibt es Millionen.

Zumindest wäre das so, wenn "Virusbuster" nicht ein ziemlich spezielles Hobby hätte. Er sammelt nämlich Computerviren. Auf seiner Website bietet der Anonymus Trades mit den Schadprogrammen an. Motto: Sag mir, was Du hast und wenn ich etwas davon gebrauchen kann, dann bekommst Du dafür eine Kopie eines meiner Schädlinge. Nach allem, was man erkennen kann, scheint die Sammlung ziemlich komplett zu sein. Und auch die Kontakte von "Virusbuster" können sich sehen lassen: Da wird über die Zukunft von Mail-Würmern diskutiert, Texte befassen sich mit Viren-Ethik - sogar ein eigenes Online-Magazin zu Thema "Viren" hat die Gemeinschaft herausgebracht. Ausgabe Nummer eins steht zum Download, Nummer zwei soll demnächst erscheinen.

Einige der Bekannten des Sammlers scheinen auch aktiv an der Erweiterung der "Buster"schen Sammlung zu arbeiten. "Ich bin nicht verantwortlich für irgendwelche Schäden auf Deinem oder anderen Rechnern" schreibt einer, bevor seine Sites den Blick auf Anleitungen und Quellcodes für Schadprogramme freigibt. Und noch ein paar Klicks weiter finden sich die berüchtigten "Toolkits", virtuelle Werkzeugkästen, mit denen sich durch ein paar Handgriffe neue Varianten bekannter Viren erstellen lassen.

Das Schöne am Hobby Computerviren ist dabei: Es ist gar nicht so schwer mitzumachen. "Ein Genie muss man nicht sein, um so etwas wie ,Sasser' zu programmieren", meint Michael Dickopf vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik dazu. "Man muss eine Affinität zum Thema haben und den Willen, etwas Illegales zu tun."

Die Programmierer der Würmer, die in den letzten Monaten das Netz verseuchten, hätten allem Anschein nach keine kommerziellen Interessen gehabt, erläutert Dickopf weiter. Ihnen sei es vor allem um massenhafte Verbreitung gegangen. Geltungsdrang war offenbar das Motiv - Virenprogrammierung um zu zeigen, dass man es kann. Im Februar und März diesen Jahres kam es sogar zu einer regelrechten Schlacht verschiedener Würmer miteinander (s. eigener Text). Die Programme rotteten sich gegenseitig aus, im Quellcode fanden sich Botschaften und Beschimpfungen in Richtung der jeweils anderen Seite. Hätten die größtenteils noch unbekannten Schöpfer der Würmer nicht die gesamte Computer-Welt unter ihrer Fehde leiden lassen, man hätte dem ganzen durchaus etwas abgewinnen können. Auch der 18-jährige Schüler, den die Polizei am Wochenende als "Sasser"-Schöpfer präsentierte, sagte nach seiner Festnahme, er sei sich der Konsequenzen seines Tuns nicht bewusst gewesen. Gespräche mit Klassenkameraden und bereits existierende Viren hätten ihn dazu motiviert, selbst zur Tat zu schreiten.

Schon die allerersten Vorläufer der heutigen Virenepidemie waren Fingerübungen begabter Computertüftler gewesen: In den Sechzigern tauchten die ersten Programme auf, die in der Lage waren, sich selbstständig in den Netzen der damaligen Großrechenanlagen fortzupflanzen. Benutzt wurden sie gerne dazu, den anderen Nutzern kostbare Rechenzeit zu stehlen und sie dem eigenen Konto gutzuschreiben. Auch später noch galt es als regelrechter Sport, Lücken in der Systemprogrammierung aufzuspüren und dazu zu benutzen, auf den Computern anderer Leute Bälle auf und ab hüpfen oder spaßige kleine Textbotschaften auftauchen zu lassen. Die Autoren nannten sogar gelegentlich ihre Adresse und Telefonnummer - schließlich war das alles ja nur ein Spaß.

Allerdings waren Computer damals noch kaum vernetzt - von einem Rechner zum nächsten konnten Viren praktisch nur dadurch gelangen, dass sie Datenträger infizierten, die später im Bandlaufwerk oder der Floppy Disk eines anderen Computers landeten. Der Verbreitung setzte das natürlich Grenzen. Von dieser Art fehlgeleitetem Spieltrieb scheinen jedoch auch heute noch viele Virenautoren motiviert zu sein.

Allerdings lassen sich die Schadprogramme, abgesehen davon, dass sie Posteingänge verstopfen, Rechner außer Gefecht setzen, die Datenleitungen des Internet verstopfen und manchmal Daten löschen, auch noch zu ganz anderen Dingen gebrauchen: So meldete die Computerzeitschrift c't vor einiger Zeit, dass es unter den Programmierern von E-Mail-Würmern solche gebe, die Adressen von befallenen Rechnern gegen Bezahlung an Menschen mit kommerziellen Interessen weitergeben.

Das könnten zum Beispiel die Versender von Werbe-E-Mails sein. Werden die Angebote in Sachen Viagra und Penisvergrößerung nämlich von zehntausend verschiedenen Absendern verschickt, durchdringen sie die Spam-Filter viel eleganter, als wenn alle vom gleichen Server aus losgelassen würden. Der russische Viren-Experte Eugene Kaspersky warnte auf der CeBIT sogar davor, dass Strukturen des organisierten Verbrechens auch auf den virtuellen Markt aktiv werden könnten. Und auch wenn in den vergangenen Tagen zwei deutsche Virenautoren dingfest gemacht werden konnten - ein Ende der Plage dürfte das wohl kaum bedeuten. "Das ist ein internationales Problem", erklärt Sicherheits-Mann Dickopf. "Irgendwo auf der Welt sitzt jetzt gerade schon wieder jemand und programmiert."

 

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