Mit Counterstrike ins Guinessbuch

Mission Wachbleiben: In einem Lübecker Industriegebiet kämpfen Zocker um den Weltrekord im Dauer-Computerspielen. Hundert Stunden haben Sie sich vorgenommen.

Die Zeit will nicht vergehen. Kurz nach Mitternacht ist es im Lübecker Technikzentrum. Neonlicht, Glas, Beton, kalter Rauch. Den Schnittchen auf den Stehtischen kann man dabei zusehen, wie sie langsam älter werden. Auch die zwölf jungen Männer im Raum sehen alles andere als frisch aus. Kein Wunder – zwei Tage und anderthalb Nächte sitzen sie jetzt schon Rücken an Rücken an ihren Rechnern. Non stop – kein Schlaf, keine Mittagspause, einfach nur Zocken.

Zu allem Überfluss reicht auch die Leistung der Heizung im Foyer nicht für die kalten Herbstnächte aus, so dass einige einen Schlafsack über die Schultern geworfen haben. Spaß macht das schon lange nicht mehr, das kann man sehen. Aber das ist auch nicht der Sinn der Sache: Hundert Stunden wollen sie durchhalten, das haben sich die Teilnehmer vorgenommen. Wenn sie 77 schaffen, haben sie die alte Bestmarke überboten und können sich Hoffnung machen auf einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. „An die körperlichen Grenzen gehen, sehen, was man schaffen kann“, erklärt Organisator Mike Brockmöller die Motivation. Eigentlich ist den Teilnehmern alles erlaubt, was man im Internet tun kann, also auch surfen, chatten oder Mails schreiben. Trotzdem läuft mindestens auf der Hälfte aller Rechner der Ego-Shooter „Counterstrike“.

„Wenn Du einen War spielst, spürst Du die Müdigkeit nicht mehr. Du stehst unter Adrenalin“, beschreibt „Buddah“ die Wirkung des Spiels als Hallowach-Programm. Am Monitor lehnt ein Bild seiner Freundin. Und der Schlafmangel? „Schlecht wie immer“, habe er gespielt, keine Ausfallerscheinungen bisher, meint der 26-jährige Düsseldorfer. Wobei „schlecht wie immer“ in normalen Maßstäben gemessen schon ziemlich gut ist. Buddah spielt mit bei MTW, einem der besten deutschen Counterstrike-Clans. Das sind Gruppen mit fünf bis zehn Mitgliedern, die die Missionen des Spiels im Teamwork erledigen. MTW hat es schon zu Sponsoring-Verträgen gebracht und auch für den Rekordversuch musste sich Buddah nicht darauf verlassen, aus gut 180 Bewerbern ausgewählt zu werden. Als Prominenter in der Spieler-Szene ist er gefragt worden, ob er dem Versuch nicht zu ein wenig Glanz verhelfen möchte.

Rund um „Counter Strike“, „Fifa Soccer“, „Raven Shield“ und andere populäre Spiele ist in den letzten Jahren etwas entstanden, das man durchaus als Subkultur bezeichnen kann. Die Szene hält Meisterschaften ab, die Spiele der Profi-Teams werden live ins Internet übertragen und auch berühmt werden kann man als Computer-Spieler – zumindest innerhalb des Zocker-Umfelds. Und die Szene wird professioneller: „In fünf Jahren werden Leute auch in Deutschland Schule oder Ausbildung schmeißen um nur noch zu spielen“, prophezeit Jens Enders. Mit seiner Firma Freaks4U organisiert er die Netzstatt Gaming League Europe NGL, die im kommenden Januar im Cubix-Kino am Alexanderplatz die Deutschen Meisterschaften der Online-Zocker veranstaltet.

Ob ihm seine eigene Prophezeiung gefällt, weiß der 34-Jährige Familienvater selbst nicht so genau. Tatsache ist jedoch, dass für den besten Counter-Strike-Spieler im Cubix ein Preisgeld von 10 000 Euro bereit liegt. Immer noch Peanuts gemessen an den 100 000 Dollar, die bei den Cyber-X-Games in den USA ausgelobt werden, aber ein Beleg dafür, dass Enders’ Vision nicht komplett aus der Luft gegriffen ist. Das Geld geben Sponsoren – meist Hard- oder Software-Hersteller, die in der Zockerszene eine perfekte Werbezielgruppe für schnelle Grafikkarten oder hochwertige gekapselte Kopfhörer vorfinden.

65 LAN-Parties mit insgesamt 30 000 Teilnehmern hat Freaks4U im laufenden Jahr organisiert, 7000 davon sind registrierte Liga-Spieler. Die acht besten Spieler in jeder Disziplin qualifizieren sich für die Endrunde der Meisterschaft. Für die nächste Saison strebt die National Gaming League eine weitere Professionalisierung an: „E-Sports“, also Computerspiele unter Leistungskriterien, sollen langfristig im Mainstream verankert werden. Außerdem hat sich der Graben zwischen Profis und Gelegenheitszockern inzwischen so weit geöffnet, dass getrennte Leistungsklassen dafür sorgen sollen, dass nicht immer die gleichen Szene-Stars alles unter sich ausmachen.

Deutsche Spieler, die nur von der Zockerei leben, kennt Enders nicht. In den USA ist man allerdings auch in dieser Hinsicht schon weiter. Schlagzeilen machen Spieler wie „Fatality“, der sich mit schnellen Reaktionen und taktischem Geschick Preisgelder von mehr als einer halben Million Dollar, Autos und sogar ein Einfamilienhaus zusammenballerte. Auch Freaks4U managt drei Clans von Halbprofis, darunter „MouseSports“, der bei den World Cyber Games in Korea im letzten Jahr den dritten Platz belegte und auf der aktuellen „Counterstrike“-Weltrangliste auf Platz drei geführt werden. Dass ausgerechnet die Königsdisziplin der Profi-Spieler im letzten Jahr durch das Massaker von Erfurt ins Gerede kam, ficht den Organisator dabei nicht an. Er verweist darauf, dass die Bundesprüfstelle auch nach den Ereignissen keinen Anlass sah, die Freigabe ab 16 Jahren zu widerrufen. Im Übrigen kooperiere man sowohl mit den amtlichen Jugendschützern als auch mit der Selbstkontrolle der Spielehersteller USK.

Auch Mike Brockmöller, Organisator des Lübecker Rekordversuchs, geht davon aus, dass sich die Spieler-Szene in den kommenden Jahren auch in der breiten Öffentlichkeit etablieren wird. Ein bisschen davon merkt man schon: Die Guinnessbuch-Spieler haben Besuch von NBC Giga bekommen, auch einige Radiosender haben berichtet.

Brockmöller selbst muss leider tatenlos zusehen – wegen starker Zahnschmerzen ist er der erste, der den Versuch abbricht und schlafen geht. Dabei hatte er sogar eine besonders charmante Idee um die Zeit herumzubekommen: Die hundert Stunden wollte er ganz friedlich im Dauer-Chat zubringen. Auch wenn in der letzten Nacht gibt es noch zwei Ausfälle – am Ende haben es schließlich acht von den zwölf Rekordzockern geschafft, die alte Bestmarke zu überbieten. Und als die hundert Stunden überstanden sind, hängen einige sogar noch ein paar Stündchen dran – irgendetwas muss man ja tun, um die Zeit bis zum abendlichen Feuerwerk herumzubekommen.

 

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