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wie Hoax
Wirres weites Web: Im Internet tummeln sich Spinner, Fälscher und Weltverschwörer.
Vorsicht! Asbest in Tampons gefunden! Die GEZ ist verpflichtet worden, Teile ihres Überschusses an die Gebührenzahler auszuschütten – Anträge auf Erstattung müssen direkt bei ihr gestellt werden! Achtung! Der erste Virus ist aufgetaucht, der Hardware zerstören kann: Er fokussiert die komplette Leistung der Bildschirmröhre auf einen Punkt – innerhalb von Sekunden kann der Bildschirm implodieren!
Nur drei Beispiele dafür, was einem an einem normalen Tag so alles per E-Mail ins Postfach fliegen kann. „Hoax“ oder auch „Fake“ nennt sich das Phänomen: Falschmeldungen tauchen auf einer Website, in einer Mail oder einem Forumsbeitrag auf und bahnen sich von nun an unaufhaltsam ihren Weg durch die Welt.
Wer das Thema aufgebracht hat, ist fast nie zurückzuverfolgen, die Motive des Urhebers dürfen irgendwo zwischen humoristischer Absicht, Geltungsdrang und krimineller Energie vermutet werden. Ein gewisser Unterhaltungswert ist den Fälschungen dabei oft nicht abzusprechen: Vor kurzem machte etwa eine Mail die Runde, in der wegen des erschummelten Schumacher-Siegs in Österreich dazu aufgerufen wurde, in diesem Jahr keinen Ferrari mehr zu kaufen.
Den meisten unter uns dürfte der Verzicht recht leicht gefallen sein. An anderer Stelle kommt die Erkenntnis eher über den „Das-kann-es-einfach-nicht-geben“-Mechanismus des menschlichen Gehirns – etwa beim „Touristguy“, der nach dem Attentat auf das World Trade Center die Runde machte: Der Schnappschuss auf dem angeblich in den Trümmern gefundenen Film zeigt einen leicht debil grinsenden Rucksacktouristen auf dem WTC-Dach, während im Hintergrund schon ein Flugzeug im Anflug zu sehen ist. Der Fake wurde schnell als solcher enttarnt und im Netz wurde es Kult, den „Touristguy“ in alle nur möglichen Katastrophen- und Filmszenarien zu montieren – vom Deck der Titanic bis in den Korb des Fahrrades, mit dem E.T. vor den Soldaten in Sicherheit gebracht wird.
Viele der „Hoaxes“ stammen aus dem Bereich der „Urban Legends“, von Geschichten wie der mit der Spinne in der Yucca-Palme, die im Internet einfach nur ein weiteres Verbreitungsmedium gefunden haben. Die Resonanz ist dabei immer wieder erstaunlich: So löste eine Geschichte über heimtückische Attacken mittels Aids-infizierter Fixernadel in den Land-Diskotheken an der holländischen Grenze durchaus ernst gemeinte Ermittlungen der Polizei aus. Opfer ließen sich nicht finden. Dafür war die Pointe der per E-Mail verbreiteten Medlung ausgesprochen makaber: Nach dem Piekser fanden die Infizierten danach einen angeklebten Zettel an ihrem Rücken: „Willkommen im Club!“
Deutlich perfider sind gefakte Viruswarnungen via Internet: „Achtung! Sollte sich in einem bestimmten Systemordner des Computers eine Datei namens SULFNBK.EXE finden, so muss diese sofort gelöscht werden, da ansonsten der Verlust wichtiger Daten droht.“ Die Pointe: Natürlich findet sich die Datei im Systemordner auf jedem Rechner – denn genau dort gehört sie ja auch hin. Das unschuldige File kümmert sich um die Wiederherstellung von Dateinamen nach einer missglückten Deinstallation von Windows 98 – sein Verlust ist daher zu verschmerzen. Aber auch 0190er-Dialer und echte Viren wurden schon durch die Anhänge an falschen Viruswarnungen verteilt. Der Hoax-Info-Service der TU-Berlin rät daher dazu, nicht leichtfertig Files zu löschen oder Programme zu starten, sondern sich erst an seriöser Stelle im Netz schlau zu machen – in der Regel vergehen vom ersten Auftauchen eines Virus bis zur Reaktion der großen Hersteller von Schutzsoftware nur wenige Stunden.
Zweiter Rat auf der Info-Website: Vor den Weiterleiten von Mails Gehirn einschalten. Denn Hoaxes entfalten erst dadurch ihre Wirkung, dass sie im Schneeballsystem weiterverbreitet werden. Und sie werden um so eher geglaubt, wenn der Absender als seriös bekannt ist. Und neben mehr oder weniger gelungener Witzischkeit und mentalen Problemen ist bei den Urhebern solcher Fakes oft auch handfeste kriminelle Energie im Spiel: So war es zu Zeiten des New-Economy-Booms gern geübte Praxis den Kurs eines Börsenwertes durch gezielt in Anleger-Foren gestreute Gerüchte zu pushen oder zu drücken – wurde der Fake als solcher entlarvt, war der Gewinn längst gemacht.
Hochkonjunktur haben Fakes und Verschwörungsszenarien natürlich in Krisenzeiten. So erzeugte das Attentat auf das World Trade Center eine riesige Welle von Falschmeldungen, die in der aufgeheizten Atmosphäre nach dem 11. September auf große Resonanz stießen. Die geheimnisvolle Warnung des untergetauchten arabischen Ex-Freundes einer Freundin, am 1. Oktober besser keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, dürfte vielen noch in Erinnerung sein. Die Angst vor weiteren Anschlägen führte dazu, dass auch ansonsten vernunftbegabte Menschen den Tag zuhause verbrachten. Die Berliner Polizei sah sich sogar zu einer Pressemitteilung veranlasst, man habe keine Erkenntnisse für einen Anschlag.
Bei der Warnung handelte es um eine „Urban Legend“, die in vielen Metropolen auftauchte. Geschmacklos auch vielfach weiterverbreitete Mails, nach denen jüdische WTC-Angestellte am Tag des Attentats in großer Zahl zuhause geblieben seien, oder die, nach der die Flugnummer einer Attentatsmaschinen „Q33 NY“ in der Word-Schriftart „Wingdings“ die Symbole eines Flugzeugs, zweier Wolkenkratzer, eines Totenkopfs sowie des Davidsterns ergäben.
Die Flugnummer war natürlich falsch. Doch die Mühe dies nachzuprüfen, machte sich kaum jemand. Wie überhaupt die Fakten bei vielen Fakes und Verschwörungsszenarien erschreckend plausibel sind – wer ab und zu selbst lügen muss, weiß, dass sich erfundene Details oft viel besser ineinander fügen als die in wahren Geschichten.
Die „Titanic“ schließlich überraschte vor einiger
Zeit mit der wohl ausnahmsweise nicht satirisch gemeinten Enttarnung eines
Internet-Fakes, der bundesweit Kreise zog: Die Chaostage, so die Zeitschrift
unter Berufung auf deren vielfach zitierten Initiator Karl Nagel, seien
ein reiner Hoax gewesen. Tatsächlich waren vor allem bei den im Internet
angekündigten Aktionen in Cottbus oder München zwar Staatsgewalt,
Fotografen und Fernsehteams, aber kaum Punks und Autonome zugegen. Die reale
Zerstörung der Hannoveraner Innenstadt Mitte der Neunziger Jahre, so
der Bericht, sei nur das Resultat einer Verselbstständigung der Aktion
gewesen. Bleibt nur zu fragen: Wo liegt die Wahrheit?
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