«Elementarteilchen»: Lauwarme Kälte
11. Feb 2006 20:38
| Topf und Deckel: Bruno (Moritz Bleibtreu) ist glücklich mit Christiane (Martina Gedeck) | Foto: Promo |
|
Oskar Roehlers Film «Elementarteilchen» hat eine
provokante Bestseller-Vorlage und glänzt mit hochkarätigen Darstellern.
Enttäuschend ist er trotzdem.
Am Hinterausgang des Hyatt-Hotels am Potsdamer Platz
waren wegen des zu erwartenden Fan-Gedränges wieder mal die
Absperrgitter aufgebaut worden. Kein Wunder: Präsentiert doch
«Elementarteilchen» bis in die Nebenrollen hinein deutsches
Kino-Startum der ersten Kategorie: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen,
Nina Hoss, Franka Potente, Martina Gedeck – sie alle waren erschienen,
um den Journalisten Antworten zu Oskar Roehlers Film nach dem Roman von
Michel Houellebecq zu liefern.
Die deutsche Produktion hatte zu den mit am meisten
Spannung erwarteten Wettbewerbsbeiträgen der Berlinale gehört: Als kaum
verfilmbar galt die Romanvorlage mit ihren Seiten langen
philosophischen Exkursen und den detaillierten pornographischen
Passagen. Mit welchen Mitteln würde man versuchen, so etwas auf die
Leinwand zu bringen?
Fortpflanzung ohne Sex «Elementarteilchen»
schildert die Geschichte zweier Halbbrüder, wie sie unterschiedlicher
kaum sein könnten: Michael (Christian Ulmen), der brilliante
Wissenschaftler, der kurz davor steht, der Menschheit die sexlose
Fortpflanzung zu schenken und der selbst mit über 30 noch Jungfrau ist.
Und auf der anderen Seite Lehrer Bruno (Moritz Bleibtreu), dessen
ganzes Leben von Gedanken an Sex beherrscht ist, bis es ihm fast aus
den Ohren kommt – ohne dass er besonders erfolgreich darin wäre, seine
Obsessionen in die Praxis umzusetzen.Erst seit sie Teenager sind,
wissen sie überhaupt von der Existenz des anderen. Ihre Hippie-Mutter
(Nina Hoss) hatte sie beide bei den Großmüttern abgeladen, um ihre
eigene Selbstverwirklichung zu zelebrieren. Und beide leiden sie unter
sich selbst – bis mit verschmähter Jugendliebe (Franka Potente) und
sexuell freizügiger Urlaubs-Eroberung (Martina Gedeck) doch noch die
richtigen Frauen in ihr Leben treten.
Bekenntnisse im Minutentakt Wie
also bringt man eine Vorlage auf die Leinwand, deren wesentliche
Inhalte zu nicht geringen Teilen an keine Art von Handlung geknüpft
sind? In diesem Fall: extrem textlastig. Vor allem im ersten Teil des
Films hauen sich die Figuren ihre Einstellungen und Erfahrungen zu
Sexualität und Tod in einer Frequenz um die Ohren, bei der einem Hören
und Sehen vergehen kann und bei der vor lauter Dialog, Erklärung und
Aufgeschriebenem die Handlung nur im Schneckentempo auf Touren kommt.
| Michael (Christian Ulmen) und Annabelle (Franka Potente) haben Nachholbedarf | Foto: Promo |
|
Dazu kommt, dass die Kälte der Figuren, die
Houellebecqs Roman zum heiß diskutierten Bestseller werden ließ, im
Film kaum noch zu erkennen ist. Natürlich: Sympathisch ist vor allem
Bruno nicht gerade, wenn er Schülerinnen angrabscht, sein Baby mit
Schlaftabletten ruhig stellt und über eine Hausaufgabe onaniert. Aber
Michael zum Beispiel? Mit seinem Dackelblick mag der schon irgendwie
gehemmt sein, aber zu mehr Abstoßendem reicht es definitiv nicht.
Nummernrevue der Schock-Effekte Ausgerechnet
die Star-Besetzung wird dem Film bei solchen Dingen zum Problem: Die
Gesichter sind zu sehr einsortiert und die Figuren bekommen zu wenig
Raum zur Einführung, als dass man die Charaktere wirklich glauben
könnte. Dafür ist vor allem die erste Hälfte eine Art Nummernrevue der
Schock-Effekte: Vom Blick auf die Knochen der exhumierten Großmutter
über den Tod durch Verbrühung bis hin zum Exfreund, der zum Satanisten
und Mörder wurde. Einzig Brunos Tirade gegen seine Mutter an deren
Totenbett fällt aus dem Rahmen: Hier kann man endlich einmal erkennen,
was dessen Entwicklung mit ihrem Verhalten zu tun hatte.Was aber
wohl für die meisten Diskussionen sorgen wird, ist die Tatsache, dass
das Ende des Films ein anderes ist als das des Buches: Wo bei
Houellebecq keine Hoffnung in Sicht ist, spendiert Roehler seinen
Hauptfiguren schon fast ein Happy End – wenn auch ein schräges und eins
mit Kratzern.
Houellebecq weiß von nichts «Wir
wollten Houellebecqs Moral nicht übernehmen. Das brachten wir einfach
nicht über's Herz», kommentierte der Regisseur das auf der
Pressekonferenz. Warum es diesen Film dann gibt? «Houellebecq gibt uns
einen Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft in die Hand, den ich
brillant finde.»Allerdings hat der Roman-Autor an der Verfilmung
seines Stoffs offenbar keinen großen Anteil genommen: «Gar nichts haben
wir mit Houellebecq abgestimmt», erklärte Produzent Bernd Eichinger
nach der Vorführung. Auch gesehen hat der Autor das Werk noch nicht –
er ist schlicht und einfach nicht aufzutreiben und konnte deshalb auch
nicht benachrichtigt werden. Wie seine Reaktion ausfallen wird, darauf
kann man gespannt sein. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht
los, dass der Bestseller in der Verfilmung zwar seine provokanten
Anteile behalten, andererseits aber auf ein Popcorn-kompatibles Niveau
gebracht werden sollte. Und beides zusammen kann nicht funktionieren.
Für das Web ediert von Kai Kolwitz |