| ||
| ||||||||||||||
| ||||||||||||||
OLIVER BIERHOFF AN DER
UNI FC Marktwirtschaft gegen Anarcho United Von Kai Kolwitz Zum Semesterstart wurde ein prominenter Fußball-Pensionär an der Berliner Humboldt-Uni eingewechselt: Als Gastdozent sprach Oliver Bierhoff, 35, am Mittwochmorgen darüber, was die Gesellschaft vom Sport lernen könne. Einige Demonstranten grätschten dazwischen und bewarfen den Ex-Stürmer mit faustgroßen Plastikbällen. Es gibt ja so manches, was man aus dem Fußball ins richtige Leben mitnehmen kann. "Nur hinlangen, wenn der Schiedsrichter nicht guckt", zum Beispiel. Oder: "Ungerechte Tore zählen auch." Allerdings kann man von Oliver Bierhoff wohl nicht erwarten, dass er solche Weisheiten offensiv vertritt - auch dann nicht, wenn er eingeladen ist, eine Vorlesung zu halten, deren Thema lautet: "Was die Gesellschaft vom Sport lernen kann." Ort des Geschehens ist ein Hörsaal der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Berliner Humboldt-Universität. Zur Veranstaltung eingeladen hat die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", die aus dem Umfeld der Arbeitgeberverbände kommt, zu ihren Unterstützern aber auch die Grünen-Wirtschaftsexpertin Christine Scheel und den Ex-Arbeitsamtschef Florian Gerster (SPD) zählt. Und eben Bierhoff. Um kurz nach zehn betritt der EM-Held den Hörsaal, die Hände in den Anzugtaschen, und sieht eigentlich immer noch aus wie in der alten Wella-Reklame. Er lächelt irgendwo zwischen Leistungsträger und Schwiegermutters Liebling und beginnt seinen Vortrag mit einem kleinen Scherz zur aktuellen Situation von Hertha BSC (sowas kommt immer an in der Hauptstadt), um sich dann zügig in die Ruck-Riege einzureihen. Lauter kleine bunte Bälle Leistung, Wettbewerb, Eigeniniative, Fairplay - der Mann, dem bei seinem Golden Goal im Finale 1996 eine Zehntelsekunde zur Unsterblichkeit reichte, spult das Pensum routiniert herunter. Die Agenda 2010 geht nicht weit genug; Bierhoff geißelt Politikerphrasen, um dann selbst mit Aussagen wie "Erfolg kommt nur, wenn alle an einem Strang ziehen", zu brillieren. Weit kommt er damit allerdings nicht: Schon nach der zweiten Din-A4-Seite seines Vortrags entrollt sich von der Empore fast schüchtern ein Plakat mit der Aufschrift: "Neue Soziale Marktwirtschaft - balla balla", gefolgt von einem dezenten Flugblattregen. Die Veranstalter und der Fußballstar sitzen das Geschehen zunächst aus. Allerdings gelingt das nicht mehr, als immer mehr kleine bunte Gummibälle auf die Bühne fliegen und die ersten Zwischenrufe laut werden. Kurz hat man die Hoffnung, dass sich hier ein nettes kleines Spielchen "FC Marktwirtschaft" gegen "Anarchos United" entwickeln könnte. Aber wie so oft im Sport kann sich der jugendliche Enthusiasmus auf Dauer nicht gegen die überlegene Technik und die Coolness der Etablierten durchsetzen: Ein kurzer Ruck, und schon wird der erste Störer von einem Anzug tragenden Bodyguard in einer Art Polizeigriff durch die Reihen nach draußen geführt. Nicht brutal, aber sehr bestimmt - ganz so wie ein Innenverteidiger dem gegnerischen Mittelstürmer zu Spielbeginn klarmacht, wer der Chef ist im Strafraum. Danach ist Ruhe. Hacki und Günter lassen grüßen Man muss Bierhoff zugute halten, dass er sich in die Nationalmannschaft boxte, obwohl er zuvor aus der Bundesliga schon nach Österreich und von da in die zweite italienische Liga abgeschoben worden war. Das zeugt von Stehvermögen. Der Umgang mit dem bunten Treiben um ihn herum ist da nicht mehr als eine Pflichtübung: Die ersten beiden gezielt geworfenen Bälle werden nebenbei mit einer Hand aufgefangen, ohne dass sich der Ex-Profi großartig aus dem Konzept bringen lässt. Danach bittet er schlicht darum, ausreden zu dürfen und hinterher in die Diskussion einzusteigen. Das studentische Publikum quittiert das größtenteils mit Szenenapplaus. Die "Bunte" hat dem Fußballer mit BWL-Diplom einst attestiert, der erotischste Kicker Deutschlands zu sein; das Fachblatt "Absatzwirtschaft" beschrieb den Torschützenkönig der Serie A als den besten Selbstvermarkter seit Beckenbauer. Aber ohne Rahmenprogramm wird es nun doch ein bisschen langweilig: Bierhoff liest ab. Und das hört man. Außerdem fallen immer wieder die gleichen Begriffe: Um Chancengleichheit und Leadership geht es, darum, dass Hacki Wimmer damals gerne für Günter Netzer mitgerannt ist. Dass es in Deutschland nicht reichen könne, gegen den Abstieg zu spielen. Kurzum: Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb. Bodyguard mit Eis im Blick Es könne eben nicht jeder erste Liga spielen, kommentiert Bierhoff, auch wenn Chancengleichheit wichtig sei. Mancher müsse eben über einen anderen Sport nachdenken. Der Bodyguard scannt derweil mit Eis im Blick das Publikum auf das nächste potenziellen Foul. Und weil nichts passiert, nutzt er das eben aufgebaute Adrenalin dazu, die in WM-Kader-Stärke angetretenen Fotografen von der Bühne weg zu halten.
Und noch etwas hat Bierhoff eingeräumt: Auch er könnte Hertha wohl nicht helfen. Aber wer kann das schon?
© SPIEGEL ONLINE 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH | ||||||||||||||
| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
14. April 2004 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
[ Home | Politik | Wirtschaft | Netzwelt | Panorama | Kultur | Wissenschaft | UniSPIEGEL | Sport | Auto | Reise ] [ Wetter | Marktplatz | Schlagzeilen | Forum | Leserbriefe | Newsletter | Archiv | Shop ] [ DER SPIEGEL | SPIEGEL TV | SPIEGEL-Jahrbuch | KulturSPIEGEL | http://www.schule.spiegel.de/ ] [ Impressum | Hilfe | Kontakt | SPIEGEL-Gruppe | Mediadaten ] |