| ||
| ||||||||||||||||||||||||||||||
| ||||||||||||||||||||||||||||||
BERLINER STREIK-KEHRAUS Studenten geht die Luft aus Von Kai Kolwitz und Steffen Hudemann Die Protestwelle ebbt ab. Nach der Weihnachtspause haben Studenten der Berliner Humboldt-Universität als erste für das Ende des Streiks gestimmt. Einige wollen sich damit nicht abfinden - sie besetzten das Büro des Uni-Präsidenten. Es sieht aus wie das Ende einer WG-Party. Auf einem großen Tisch stehen leere Bierflaschen und Brötchentüten, unten auf dem Fußboden liegen Studenten in Schlafsäcken. Einer klimpert leise auf der Gitarre. Zwischen den Schlafenden haben es sich zwei Hunde bequem gemacht. Aber die Anwesenden sitzen nicht in irgendeiner WG-Küche, sondern mitten im Dienstzimmer des Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität. Rund 20 Studenten waren am Montagabend gegen 18 Uhr ins Vorzimmer und dann schnurstracks in das leere Büro ihres Präsidenten, Jürgen Mlynek, marschiert. Die Sekretärin reagierte gelassen: Sie brachte einige wichtige Dokumente in Sicherheit, entstöpselte das Telefon, informierte den Wachdienst und bat die Studenten, nichts kaputt zu machen. "Wir haben den Tempel geschändet" "Wir wollen dem Präsidenten auf die Pelle rücken", sagt Robert. Der Student der Agrarwissenschaften sieht in der Besetzung ein Symbol dafür, dass die Studenten ihren Protest auch im neuen Jahr nicht aufgeben. "Wir haben den Tempel geschändet, um zu zeigen, dass wir auch bereit sind, Grenzen zu überschreiten." Erst am Dienstag zogen die ungebetenen Gäste friedlich wieder ab. Mit dem Besuch im Präsidentenbüro haben sich die HU-Studenten aus dem Weihnachtsurlaub zurückgemeldet, nachdem die Proteste gegen die Sparbeschlüsse des Berliner Senats abgeebbt waren. So zogen am Samstag vor Weihnachten nur noch wenige Hundert vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus. Aber der Zorn blieb, besonders auf die eigenen Präsidenten. Die hatten sich zu Beginn des Streiks noch mit ihren Studenten solidarisiert. Doch kaum saßen die Studenten unter dem elterlichen Weihnachtsbaum, unterzeichneten HU-Präsident Mlynek und sein FU-Kollege Dieter Lenzen still und leise die Hochschulverträge und stimmten so den Kürzungen von 75 Millionen Euro pro Jahr zu. Allein TU-Präsident Kurt Kutzler verweigerte seine Unterschrift. Streiken in Teilzeit statt Vollzeit Am Montagnachmittag hatte es noch so ausgesehen, als zerfiele die Berliner Streikfront endgültig: Die Studenten der Humboldt-Universität hatten als erste klein beigegeben und das Ende des absoluten Ausstands beschlossen. Die Entscheidung fiel mit knapper Mehrheit auf einer Vollversammlung zum Vorlesungsbeginn im neuen Jahr. Zwar wird man an der HU auch in Zukunft weiter gegen die Sparbeschlüsse protestieren, so der Beschluss. Aber nur noch an einzelnen Aktionstagen soll versucht werden, den Universitätsbetrieb lahmzulegen - eine Art Wandlung vom Vollzeit- zum Teilzeitstreik sozusagen. Vorausgegangen war eine Versammlung mit teilweise kabarettreifen Zügen: Stundenlange Abstimmungen im Hammelsprung-Verfahren - knapp 4000 Anwesende, die nacheinander durch eine der beiden zur Verfügung stehenden Türen gehen mussten, um eine saubere Zählweise zu garantieren. Beschimpfungen für diejenigen, die sich gegen eine Fortsetzung des Streiks aussprachen. Wie viel Protest und wie viel Uni es in Zukunft geben soll, konnte die Versammlung allerdings nicht mehr klären: Zu viele Teilnehmer waren schon nach Hause gegangen. "Man musste schon Angst haben, dass man einen Stein an den Kopf bekommt, wenn man den falschen Eingang nahm", meint Ina dazu im Hinausgehen. Die angehende Wirtschaftspädagogin steht stellvertretend für das Dilemma, in dem sich viele HU-Studenten sehen: Die Flugtickets für das Praktikum in Chile im März liegen bei ihr schon daheim auf dem Schreibtisch. Allerdings braucht sie einen Schein, den sie im laufenden Semester erst noch machen muss, um den Auslandsaufenthalt anerkannt zu bekommen. Und so wie Ina treibt viele die Angst um, dass das komplette Halbjahr für ungültig erklärt werden könnte. Politiker-Strategie: Mürbemachen durch Umarmung Ebenfalls zum Problem wurde für die Aktivisten schon im letzten Jahr, dass der Senat den Eindruck vermittelte, die Proteste einfach aussitzen zu wollen. Zwar trugen die Studenten ihre Aktionen clever in die Öffentlichkeit, verschönerten das HU-Hauptgebäude an der Prachtstraße Unter den Linden mit weithin sichtbaren Transparenten und hielten Vorlesungen auf dem Potsdamer Platz oder in der S-Bahn ab. Sie besetzten erst Uni-Gebäude, dann das Büro des Wissenschaftsenators Thomas Flierl (PDS), schließlich Parteizentralen, einen lokalen Fernsehsender, die "taz"-Redaktion (siehe Kasten unten), eine Bank.
Stets suchten und fanden die Protestler die Aufmerksamkeit der Medien. Zurück blieb allerdings ein schaler Geschmack: Politiker verlegten sich darauf, die so sympathischen Studenten öffentlich zu knuddeln. Substanzielle Zugeständnisse? Fehlanzeige. Aber auch zu einer Eskalation, die die Reihen hätte schließen können, kam es nicht. Demo-Züge wurden oft von handzahmen Polizeieskorten begleitet, die den Studenten zur Not sogar noch ihre eigenen Megaphone stifteten. Besetzungen, etwa der PDS-Zentrale, wurden toleriert, bis die Besetzer von selbst die Lust verloren. Irgendwie wollte sich der Geist von 1968 nicht einstellen.
Die anderen beiden großen Berliner Unis TU und FU werden erst am Mittwochabstimmen, wie es weitergeht. In den Streikkomitees herrscht bis dahin Business as usual: Am Montag wurden erst einmal das TU-Hauptgebäude blockiert und die Aktionen für die nächsten Tage geplant. "Wir warten ab, wie die Vollversammlung abstimmt", meint Andri Fried, der im Komitee der FU mitarbeitet: "Aus eigener Kraft können wir sowieso nichts entscheiden." Ina hat übrigens trotz ihres Praktikums für eine Streikfortsetzung gestimmt: "Wenn man jetzt einfach aufhört, wird es einen Bumerang-Effekt geben. Dann glauben die Politiker, dass sie noch ganz andere Sachen durchziehen können." "Es ist wohl die Großwetterlage, dass es die meisten nicht kratzt, was passiert", meint dagegen Juliane geknickt mit Blick auf das Abstimmungsergebnis. Ihr Fachbereich Musikwissenschaften ist wie die landwirtschaftliche Fakultät von der Schließung bedroht. Dennoch erwartet sie, dass sich der Protest jetzt langsam verlaufen wird. Landwirtschaftsstudent Robert wäre enttäuscht, wenn plötzlich alles vorbei wäre. Er habe die Hoffnung, dass bei den Studenten etwas hängen geblieben sei, sagt er. Der Student sitzt auf dem roten Teppichboden des Präsidentenzimmers und redet von der großen Kreativität, die freigesetzt wurde, von den vielen Diskussionen, die stattgefunden haben, von zahlreichen neuen Gesichtern. Vom Geist, der gezeigt habe, dass er raus will. Es klingt wie ein Nachruf.
© SPIEGEL ONLINE 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH | ||||||||||||||||||||||||||||||
WISSENSCHAFT | UNISPIEGEL | SPORT |
| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
06. Januar 2004 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
[ Home | Politik | Wirtschaft | Netzwelt | Panorama | Kultur | Wissenschaft | UniSPIEGEL | Sport | Auto | Reise ] [ Wetter | Marktplatz | Schlagzeilen | Forum | Leserbriefe | Newsletter | Archiv | Shop ] [ DER SPIEGEL | SPIEGEL TV | SPIEGEL-Jahrbuch | KulturSPIEGEL | http://www.schule.spiegel.de/ ] [ Impressum | Hilfe | Kontakt | SPIEGEL-Gruppe | Mediadaten ] |