Die Sterne: «Wir könnten klarer sein«
03. Apr 07:46
| 'Wenn ich realistisch bin': Die Sterne | Foto: Promo |
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Mit «Räuber und Gedärm» erweisen sich Die Sterne
wieder als Meister der Atmosphäre und des Halbsatzes ohne Ende. Mit der
Netzeitung sprach die Band über Grashalme, Konsum und das Zurückfallen
in alte Muster.
Lang, lang ist es her: Anfang der Neunziger fanden sich
Die Sterne zusammen – in der Ursuppe von etwas, was kurz darauf als
«Hamburger Schule» identifiziert werden sollte.
Dem «Diskurspop», ein weiteres Wort, das damals geboren
wurde, fügte die Band ihren eigenen Farbton hinzu: Sprenkel von Funk
und Motown, dazu Texte, die oft daherkamen wie Bildunterschriften zu
einem Foto, das nicht dazu geliefert wurde.14 Jahre später haben Die
Sterne mit «Räuber und Gedärm» ihr insgesamt achtes Studio-Album
veröffentlicht, Mitte April startet die aktuelle Deutschland-Tour. Und
auch im Gespräch fällt es nicht ganz leicht, die vielen Halbsätze von
Sänger Frank Spilker in schreibbare Sprache herunter zu destillieren –
neue Gedanken kommen, fordern neue Satzanfänge oder zumindest ein
scharfes Abbiegen im bisher Gesagten. Erhellend bleibt es meist
trotzdem - die Netzeitung sprach mit Spilker und Schlagzeuger Christoph
Leich. Netzeitung: Was fällt Ihnen eigentlich selbst zu «Räuber und Gedärm» ein? Christoph Leich:
Es ist sehr leicht und unbeschwert, finde ich jedenfalls. Es geht so
frisch nach vorne weg – das wäre so ein erster Eindruck. Der zweite
ist, dass wir Sachen auf der Platte haben, die wir, glaube ich, noch
nie davor gemacht haben. Also «Am Pol der Macht», das ist ja eine
Ballade, aber der Text schafft eine Dimension, die man sonst nicht in
Balladen hat… Frank Spilker: Du spielst zu schnell. Ein Freund von mir hat sich total aufgeregt, dass das Schlagzeug zu schnell spielt. Leich: Finde ich super da drin, den Beat, ehrlich gesagt. Spilker: Ist ja klar, dass Du anderer Meinung bist, sonst hättest Du es ja nicht gespielt.
Netzeitung: Ich hatte den Eindruck, dass die
Platte in zwei Teile zerfällt: Auf der einen Seite leicht funkige
Songs, wie man sie von den Sternen kennt, auf der anderen klingt es so,
als hätten Sie mehr auf Lärm gesetzt und weniger auf Melodie…
| Die Sterne: Christoph Leich | Foto: Promo |
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Leich: Wir hatten ja mal den Plan, eine
Krautrock-Platte herauszubringen und ein normales Album. Und ein paar
Krautrock-Sachen haben sich jetzt doch ins Album reingemogelt. Spilker:
Ich würde für mich eine andere Geschichte erzählen: Ich hatte das
Gefühl, es gibt Songs, bei denen wir etwas gemacht haben, was vertraut
ist – aber dass diese Stücke eigentlich gar nicht rein sollten. Es gab
Songs wie «Es gibt nichts Spannenderes», das ja einen deutlichen
Achtziger-Jahre-Bezug hat, oder «Abends ausgehen», da haben die Talking
Heads eine Rolle gespielt. Und dann gibt es andere Songs wie «Kleiner
Grashalm» – so etwas hatten wir schon oft im Repertoire. Das finde ich
typisch für diese Arbeit: Du kannst Dir noch was überlegen an
Konzepten, Du rutschst ganz oft wieder in vertraute Gefilde. Netzeitung: Traurig? Spilker:
Ich finde das nicht schlecht. Ich finde es auch wichtig, als Band so
eine Art Marke zu sein. Das hat auch etwas mit Vertrautheit mit dem
Publikum zu tun: dass Leute, die sich die Platte kaufen, auch wirklich
ein Stück von dem kriegen, was sie erwarten. Netzeitung: Wie kam es denn überhaupt zu «Grashalm»? Spilker:
Das war eine Installation von «Fischli & Weiss». Das sind so
Schweizer Künstler - die haben ein Exponat gemacht, das ist so ein
kleines Bett, und an die Wände sind so Gedanken projiziert, wie sie
einem beim Einschlafen einfallen: Hab ich den Herd ausgemacht? Ist mir
meiner Beziehung wirklich alles in Ordnung? Dieses leicht Paranoide,
das man so hat, wenn man schutzlos da liegt. Dazu kam eine längere
Sache, bei der ich textlich improvisiert habe und in der mir diese eine
Stelle gefallen hat, wo die Geschichte aus der Perspektive des
Grashalms erzählt wurde – also dieses irgendwo stehen, nicht weg können
und die ganze Zeit hoffen, dass niemand kommt und einen platt tritt. Netzeitung: Ist das eigentlich tragisch, wenn man zu manchen Ihrer Texte eine Erklärung braucht?
| Die Sterne: Frank Spilker | Foto: Promo |
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Spilker: Ich finde, dass wir das mit den letzten
beiden Platten deutlich gemacht haben: Wir könnten auch klarer sein.
Aber das wäre auch nur die Hälfte von dem Spaß. Du willst ja nicht nur
platte Wahrheiten hören, sondern es geht ja auch um dieses poetische
Element: einen gewissen Spielraum zu haben, Texte aufs eigene Leben zu
beziehen. Dass so auch Sachen entstehen, mit denen Leute nichts
anfangen können – ich finde das normal.Netzeitung: In einem anderen Stück auf der Platte heißt es: «Wenn ich realistisch bin, geh ich nicht aus dem Haus». Spilker:
Das ist im Grunde nur eins von vielen Gedankenspielen. Weil, «wenn ich
realistisch bin», ist eine Floskel. Ich arbeite sehr gerne mit Dingen,
die man immer sagt, ohne darüber nachzudenken – denn wenn man mal
anfängt, darüber nachzudenken, kann man da unglaublich viel rausholen.
Also: Was soll das denn heißen, wenn Du diesen Satz sagst – heißt das,
dass Du dran glaubst oder nicht? Und der Reiz an dem Satz
besteht natürlich, ganz anders weiter zu machen. Also: «Wenn ich
realistisch bin, dann siehst Du mich gar nicht. Ich mag so etwas - und
zwar besonders als Refrain, weil es in drei oder vier Worten
vielschichtig ist. Netzeitung: Wenn ich realistisch bin, brauche ich erst gar nicht anzufangen… Spilker:
Ja genau, es ist beides. Entweder Du nimmst es so: Wenn ich allzu
realistisch bin, dann fange ich gar nichts an – und das heißt, es
gehört eine gewisse Portion Übermut und Kindlichkeit dazu, überhaupt
Sachen anzufangen, damit was aus ihnen wird. Und auf der anderen Seite
kann es auch heißen: Wenn Du sagst, »Wenn ich realistisch bin, geh ich
nicht raus«, dass Du Dich ganz oft in Deinem Zimmer verkriechst und
weinst, nicht rausgehst – dass die Leute Dich also nur zu sehen
kriegen, wenn Du nicht realistisch bist. Netzeitung: Man könnte auch den Eindruck bekommen, dass die Sterne das Thema »Geiz ist geil« für sich entdeckt haben. Konsum kommt oft vor.
Spilker: »Geiz ist geil« ist ein sehr
interessantes Phänomen, denke ich – weil sich die Leute über etwas
aufregen, was sie in tiefster Seele die ganze Zeit selbst praktizieren.
Eine Zeit lang hat man in jedem Dorf in jeder Sonntagspredigt gehört:
»Die Geiz-ist-geil-Mentalität« und »wir müssen uns wieder besinnen auf
Moral und Werte.« Dadurch wird die Doppelmoral dieses Weltbilds
offenbar, mit dem wir leben. Weil einerseits heißt es: »Wir müssen
wieder was schaffen, jetzt noch miesere Jobs annehmen und noch mehr
Würde über Bord werfen« – und gleichzeitig beschwert man sich darüber,
dass Leute gezwungen sind, das günstigste Angebot wahrzunehmen, weil
sie einfach kein Geld mehr haben. Weil das dann angeblich egoistisch
ist. Netzeitung: Die Sterne gibt es jetzt seit 1992.
Fühlt man sich da manchmal als eine Art »Elder Statesmen«, wenn man auf
Bands wie zum Beispiel Tomte blickt? Spilker: Wir
kennen die natürlich alle, das ist eben so Hamburg-Szene. Aber Tomte
schätze ich mehr so als Fans aus der Tocotronic-Ecke ein, die dann
weiter gegangen sind. Allerdings von einem Punkt, an dem wir nie so
richtig waren. »Elder Statesmen« würde ich eher im Bezug auf Bands
sagen wie Die Türen, die ein Feld beackern, das wir auch mal gepflügt
haben – aber ganz anders. Da hört man zum Beispiel, dass die ganz
ähnliche Musik gehört haben. Ich fühle mich da zwar nicht als Vater des
Gedankens, aber ich denke: »Klasse, da geht jemand da weiter, wo wir
auch mal geackert haben.« Das Interview führte Kai Kolwitz
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