Popkomm: Der Musikmesse fehlt Musik
15. Sep 17:36
| Business statt Glamour: Popkomm 2005 | Foto: dpa |
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Nur Fachbesucher haben Zutritt zur eigentlichen
Popkomm-Messe unter dem Berliner Funkturm. Aber die, die draußen
bleiben müssen, verpassen nicht viel.
Der Musiker in der Unterführung zwischen S-Bahn-Station
und Messehallen spielt «A Whiter Shade of Pale». Vielleicht hat er sich
etwas erhofft von seinem Standort – einen Plattenvertrag oder zumindest
einige Münzen von den vielen Musikmenschen, die hier eigentlich
vorbeikommen müssten. Aber am Nachmittag gehen die Geschäfte schlecht:
Kein Mensch ist da. Seine Musik verhallt ungehört.
Ist man dann erstmal drin, wundert man sich ein
bisschen: So überschaubar ist die größte Musikmesse Deutschlands? Drei
der kleineren Hallen des Berliner Messegeländes umfasst das
Musikspektakel – wohlwollend geschätzt. Denn der von der Messe Berlin
als Halle Nummer vier annoncierte Raum ist eigentlich ein größerer
Durchgang, in dem lediglich der Pavillon des offiziellen Gastlandes
Spanien Platz gefunden hat und ein paar kleine, an die Wände gedrängte
Stände. Zudem haben es die Organisatoren geschafft, in zwei der
drei «ernsthaften» Hallen respektable bis opulente Gastro-Bereiche
unterzubringen, bei denen man das Gefühl nicht los wird, dass sie auch
ein bisschen dazu da sind, die Messe raumgreifender wirken zu lassen.
«Das hätten die auch in einer von den großen Hallen unterbringen
können», kommentiert ein Besucher seinen Blick auf die Stände der
Aussteller. «Piefig», meint der Musikredakteur eines lokalen
Stadtmagazins.
Mehr Aussteller - gleiche Fläche Ausgebucht
sei die Popkomm, vermelden dagegen die Veranstalter. Gut 20 Prozent
mehr Aussteller gebe es als bei der Berlin-Premiere im Vorjahr, für die
damals auch schon angegeben worden war, man habe Wartelisten einrichten
müssen, weil keiner mehr in die Hallen passte. Interessanterweise wird
aber für beide Jahre mit 16.000 Quadratmetern exakt die gleiche
Ausstellungsfläche kommuniziert – und es braucht bei der 2005er Auflage
nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, wo überall noch ein
Aussteller hingepasst hätte, wenn es denn hätte sein müssen. Man mag
sich gar nicht vorstellen, wie die Messe aussehen würde, wenn die Basis
nicht verbreitert worden wäre und die selbstbewussten Auftritte von
Nokia und Vodafone fehlen würden.Was nicht heißt, dass die
angegebenen Zahlen falsch sein müssen. Denn unverkennbar ist der Trend
zum Gemeinschaftsstand: So drängelt sich zum Beispiel ein guter Teil
der wichtigen deutschen Konzertveranstalter auf wenigen Quadratmetern,
auch die mp3-Erfinder vom Fraunhofer-Institut für Integrierte
Schaltungen teilen sich ihr Eckchen mit mehreren anderen. Nichts ist
mehr zu sehen von den opulenten Doppelstock-Ständen der Neunziger, als
die Musikindustrie noch auf New Economy machte. Zwei der vier großen
Plattenfirmen haben sich ihre Präsenz gleich ganz gespart.
Eine erstaunlich leise Musikmesse Und
Musik? Die hört man eigentlich kaum auf der Popkomm. Irgendwer lässt ab
und zu eine alte Sting-Platte laufen und an den Länder-Ständen gibt es
ein bisschen Hintergrundbeschallung – aber niemals so laut, dass die
Unterhaltung der Umstehenden gestört werden könnte. Trotzdem ist hier
der Bereich der Messe, in dem es am meisten zu entdecken gibt: 48
Nationen sind da, große Fische wie Frankreich, Spanien oder Brasilien,
aber auch Exoten wie Luxemburg und Südafrika. Eine der drei Hallen ist
fast komplett gefüllt mit den Auslandsvertretungen.Vielleicht liegt
hier ja sogar die Zukunft der Messe: Nicht mehr Leistungsschau sein
einer Branche, die deutlich weniger vorzuweisen hat als vor ein paar
Jahren, sondern mehr Ort der Entdeckungen und des Unkonventionellen.
Nur wäre dann die Frage, ob die Messe der Stadt noch den Glamour
verleihen würde, auf den die deutsche Musikhauptstadt so erpicht ist. Interessanterweise
ist die Popkomm 2005 in ihrer Bescheidenheit ihren Ursprüngen wohl
sogar näher als in den Vorjahren: 1989 fand die erste Messe im
Düsseldorfer Club ZAKK statt, initiiert von einem gewissen Dieter
Gorny, damals noch involviert in das Rockbüro NRW und nicht Chef und
Gründer eines deutschen Musikfernsehsenders.
Zurück zu den Anfängen Als
Kontaktbörse zwischen Musikern und Plattenfirmen am Tapeziertisch-Stand
hat die Popkomm damals angefangen. Die Branche war begeistert von dem
Treffpunkt – und in den wilden Neunzigern konnte man sich kaum retten
vor Gratisdrinks, lustigen Werbegimmicks, Selbstbeweihräucherung und
bodygepainteten Promoterinnen. Heute betont man dagegen, hier werde
schließlich Business gemacht, kein Platz für Spielereien. Zumindest
einem der Aussteller wäre etwas mehr Wirbel aber wohl doch lieb. «Ich
habe erst einen einzigen Musiker getroffen», beklagt er sich. Der Gitarrist in der Unterführung ist am Ende des Tages immer noch da. Jetzt spielt er irgendetwas von Neil Young.
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