Brönner: «Persönlichkeit nach draußen blasen»
26. Sep 13:59
| Till Brönner | Foto: PR |
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Till Brönner ist einer der wenigen deutschen
Jazzmusiker, der es zu allgemeiner Bekanntheit gebracht hat. Die
Netzeitung sprach mit ihm über Fehler, Konsumierbarkeit und Autounfälle.
Ein kleines italienisches Restaurant tief im Westen,
nicht wirklich im Zentrum Berlins. «Ich mache die meisten Interviews
hier», sagt Till Brönner. Denn zum einen wohnt er um die Ecke, und zum
anderen kann der Trompeter so mal eben kurz rüber ins nahe gelegene
Studio, falls dort irgendetwas passiert, was seine Anwesenheit
erfordert.
Brönner hat gut zu tun. Jüngstes Lebenszeichen des
Jazzmusikers ist seine DVD «A Night In Berlin», die gerade erschienen
ist und die Brönner auch mit Gesangsmikrofon in der Hand vorstellt. Netzeitung: Ihre
DVD ist komplett im Studio entstanden. Eigentlich hätte man einen
Konzertmitschnitt erwartet – mit Scheinwerfern, Publikum und
Zigarettenschwaden... Till Brönner: Genau das wollten
wir nicht machen. Zu meinen Auftritten kann ja jeder kommen - und warum
das Gleiche zeigen, was man bei einem Konzert auch sieht? Wir wollten
den Versuch wagen, mit Leuten zu spielen, die sich nicht unter
Beobachtung fühlen und ohne das ständige Rampensau-Kamera-Gehabe Musik
aufnehmen. Ich glaube, dass andere Dinge sichtbar werden, wenn kein
Publikum dabei ist. Netzeitung: Ein bisschen «Big Brother»? Brönner: Im nachhinein auf jeden Fall. Ein bisschen das Fenster zum Wohnzimmer. Netzeitung: Nimmt man bei so einer Produktion Fehler in Kauf? Brönner:
Ja natürlich. Ich kann mir die DVD zum Beispiel nicht so ohne weiteres
angucken, weil mich dauernd irgendwelche Sachen nerven. Aber das ist
auch gut so – sonst würde ich mit so einer Wampe da sitzen und sagen:
Hey, was soll hier eigentlich noch kommen? Wir hätten das sogar extrem
viel besser machen können. Aber es erfordert auch Mut zu sagen: Diese
zwei Tage nehmen wir jetzt als Basis, und von da starten wir. Netzeitung: Was stört Sie denn? Gibt es ein Beispiel? Brönner:
Nein, natürlich nicht. Aber ich bin nicht zwingend bei jeder Nummer in
Bestform. Bei dem einen Stück war man hervorragend und bei dem anderen
nicht 150-prozentig, sondern nur 100-prozentig. Man hätte stattdessen
auch einen Take nehmen können, auf dem ich noch viel besser bin. Aber
auf dem sind dann vielleicht die Soli der anderen nicht so gut. Und
dann entscheidet man zu Gunsten eines Gesamtbildes.
| Raus aus dem Elfenbeinturm | Foto: Promo |
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Netzeitung: Kann man einem Solo eigentlich anhören, welche Laune Sie gerade hatten?Brönner:
Auf jeden Fall. Das ist sogar erwünscht, weil du als Instrumentalist
gar nichts anderes hast, um Dich auszudrücken. Wenn Du anhand des
Spiels merkst, wie jemand seelisch gerade beschaffen ist – Bingo! Netzeitung: ... dass das Auto gerade kaputt ist... Brönner:
Das ist sicher ein etwas zu direkter Zusammenhang. Aber bestimmte
Adrenalinzuwächse aus ganz anderen Gründen können dafür sorgen, dass Du
über Dich hinauswächst. Ich habe mal vor einem Live-TV-Konzert in der
Philharmonie einen kleinen Autounfall gehabt. Ich war völlig fertig und
bin deswegen fast eine Stunde zu spät gekommen. Ich musste direkt auf
die Bühne stürmen und dann dieses Ding da blasen. Ich habe nur noch
gedacht: Hoffentlich verkackst Du das nicht – es war das beste Konzert
seit langem. Netzeitung: In Sachen Jazz sind Sie ein
Star – und einer der wenigen, die über die Szene hinaus bekannt
geworden sind. Haben Sie eine Erklärung dafür? Brönner:
Ich glaube, dass ich eine Menge Sachen anders gemacht habe, als das
Gros der Jazz-Musiker überhaupt bereit wäre, sie zu tun. Ich habe nicht
meine Musik so verändert, dass am Ende etwas dasteht, das mir nicht
gefällt. Aber die Energie, die neben dem Musikmachen in so ein Projekt
hineinwandert – da lohnt es sich vielleicht, das irgendwann mal in
einem Buch zu umreißen. Es ist einfach viel Arbeit, viel Disziplin und
nicht nur Zufall. Netzeitung: Dagegen hat man aber den Eindruck, dass sich viele Jazzer eigentlich ganz wohl fühlen in ihrem Elfenbeinturm... Brönner:
Das ist ja auch das Leichteste, das man machen kann. Also sozusagen den
Misserfolg zum Konzept zu machen. Ich finde das auch in Ordnung – ich
fürchte nur, dass 80 Prozent der Leute, die sagen, sie wollen niemanden
mit ihrer Musik erreichen, wie gedruckt lügen.
| Cover 'A Night In Berlin' | Foto: PR |
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Netzeitung: Muss man Jazz eigentlich hören lernen?Brönner:
Nein, das nicht. Aber man darf nicht davon ausgehen, dass man am Anfang
alles verstehen wird. Manchmal ist es etwas, das einem so viel
abverlangt, dass man erst einmal mit Ablehnung reagiert. Immer wenn
Dinge an die Grenzen gehen, dann erzeugen sie Reibung – diese Reibung
hat sich der Jazz über Jahrzehnte auf die Fahnen geschrieben. Ich
denke, man muss aufpassen, dass Jazz nicht zu einer Art
Berieselungsmusik wird. Es ist ja erstaunlich, was für ein Revival er
erlebt hat: Du hörst die Musik ja jetzt in jeder Kneipe: Hey Jazz,
super und Miles Davis, toll... Netzeitung: Ihre DVD ist aber auch recht gut konsumierbar. Brönner:
Ich habe ja auch nicht von mir gesprochen. Die Reibungspunkte hat es
gegeben, als der Jazz noch seiner ureigensten Aufgabe nachgekommen ist:
Jazz war die Musik, die Grenzen grundsätzlich und ganzheitlich
eingerissen hat. Da war zeitgenössische klassische Musik nicht so weit
von Free Jazz entfernt. Das ist jetzt aber alles passiert: Ich habe 20
Fahrräder und 18 Badewannen nebeneinander auf der Bühne stehen sehen,
und alle haben Geräusche von sich gegeben, und das war Musik. Die
Reibung erzeugt jemand wie ich nicht dadurch, dass er etwas macht, was
keiner von ihm erwartet. Mich interessiert das auch gar nicht so sehr,
was jemand von mir erwartet. Irgendwann fingen die Leute mal an zu
schreiben, wie schlimm das alles ist, was ich da mache. Und ich dachte
so: Komisch, das ist wie ein Hobby. Du gehst nur angeln und 10.000
Leute wollen Dir bescheinigen, dass das nicht in Ordnung ist, was Du da
machst. Netzeitung: Aber worum geht es denn dann? Brönner:
Es geht darum, Deine Persönlichkeit mit den dir zur Verfügung stehenden
Mitteln nach draußen zu blasen, erkennbar zu machen. Dass Leute nicht
länger als fünf Sekunden brauchen, um zu wissen: Das ist der oder da
spielt der oder das klingt nach der und der. Netzeitung: Sie sind selbst als Jugendlicher über die Saxophon-Legende Charlie Parker zum Jazz gekommen... Brönner:
Es ist ja nicht so, dass ich Charlie Parker gesucht, sondern dass der
mich gefunden hat. Du hörst plötzlich Musik, bei der du denkst: Das
kannst Du doch eigentlich gar nicht machen. Das ist doch verboten
sowas. Und trotzdem hat es etwas unglaublich Sinnliches, Gutes, was
Dich nie wieder loslässt, wo Du einfach ran willst: Dieses
angriffslustige, unorthodoxe Spiel eines Charlie Parker, der in jeder
Sekunde Herr über seine Fähigkeiten war – aber der einen Scheiß darum
gegeben hat, was die Kritiker gesagt haben. Netzeitung: Welche Platten würden Sie zum Einstieg empfehlen? Brönner:
Miles Davis' «Kind of Blue». Eine andere sehr schöne Platte ist von
Frank Sinatra mit Antonio Carlos Jobim. Ansonsten von Cannonball
Adderley alles, was man bekommen kann. Aber die Einsteigerplatte
schlechthin ist Miles Davis' «Kind of Blue». Ich glaube, dass es kein
Album gibt, das perfekter, zeitloser und vor allem freundlicher an das
Erbe des Jazz herangeht. Mit Till Brönner sprach Kai Kolwitz
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