Haldern Pop: Schlammschlacht mit Schlips
08. Aug 11:47
| Zelten inbegriffen: Haldern Pop | Foto: Haldern Pop |
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Gummistiefel und Ölzeug waren in diesem Jahr das
Mittel der Wahl beim Haldern-Festival. Dafür präsentierte das Open Air
von Franz Ferdinand bis Kaizers Orchestra die bestangezogenen Bands der
letzten Jahre.
Es ist der Ort, an dem sich Welten treffen, wie sie
unterschiedlicher kaum sein könnten: Haldern, eine
2000-Seelen-Gemeinde, am nördlichen Ende des Niederrheins gelegen,
weites Land, grüne Wiesen, die niederländische Grenze nur ein paar
Kilometer entfernt.
Die Menschen hier scheren sich nicht sehr um Posen und
die neuesten Looks. Sie sind unkompliziert, viel an der frischen Luft
und sie feiern gerne – zumindest dann, wenn es in der dünn besiedelten
Gegend einen Anlass dazu gibt. Aus dieser Gemengelage ist Anfang der
Achtziger Jahre auch Haldern Pop entstanden: ein harmloses kleines
Festival, ein paar Bands, Gelegenheit, Musik zu hören, mitzuwippen und
Bier zu trinken. Auf dem Dorf wird so etwas immer mal wieder versucht.
Allerdings: Gut 20 Jahre später ist Haldern Pop immer
noch da – und größer denn je. Szene-Youngtimer mit Berliner oder
Hamburger Kennzeichen stehen einträchtig neben den Gebrauchtwagen mit
Weseler, Klever und Borkener Kennzeichen im Schlamm, schon vor zwei
Monaten waren die 5.000 Tickets restlos ausverkauft. Auf Presse- und
VIP-Pässe ist ein derartiger Run ausgebrochen, dass die Organisatoren
ein strenges Regiment führen müssen. Haldern ist Hype.
Dabei hat sich eigentlich gar nicht so viel geändert
seit den eher improvisierten Anfängen. Aber vielleicht ist genau das
der Grund für den legendären Ruf von Haldern Pop. Und natürlich die
Tatsache, dass es den Festival-Machern Jahr für Jahr gelingt, ein Line
Up zusammenzustellen, das eine respektable Anzahl «heißer», ernsthafter
Bands mit solchen zusammenbringt, von denen in Deutschland noch kein
Mensch etwas gehört hat – was sich nach Haldern Pop mit schöner
Regelmäßigkeit ändert.
Die Rückkehr des Anzugs in die Rock-Musik Kaizers
Orchestra ist so ein Fall: Vor zwei Jahren in der sengenden
Nachmittagshitze zu der Überraschung des Festivals avanciert, kehrten
die Norweger am letzten Wochenende zurück nach Haldern. Die Band, deren
Mitglieder aus rätselhaften Gründen alle den Nachnamen «Kaizer» tragen,
durfte diesmal zur Prime Time auf die Bühne – und zeigte, dass sie in
der Zwischenzeit verstanden hat, wo ihr Platz im Geschäft ist. Vor
zwei Jahren noch eine Mischung aus Sinti-Orchester und der
Eine-Welt-Trommlergruppe aus der Hölle, liefern Kaizers Orchestra ihre
Show diesmal deutlich zielgerichteter ab: Den Lärm von den Autofelgen,
Vorschlaghämmern und leeren Ölfässern gibt es immer noch, Harmonium und
Kontrabass ebenfalls, aber irgendwie scheint die Band die Wirkung ihrer
Show diesmal um einiges genauer im Auge zu haben. Auch die Songs vom
dritten Album «Maestro», das in der kommenden Woche erscheinen wird,
klingen manchmal ziemlich nach dem, was man schon kennt, auch wenn
Kaizers Orchestra für die gleichnamige Single den Disco-Funk entdeckt
zu haben scheinen. «Sie hoffen, dass es in diesem Jahr ein
bisschen kühler ist», stand vor dem Festival auf der Band-Website
«kaizers.no» – der Wunsch ging etwas besser in Erfüllung, als wohl auch
die Band selbst es gewollt hat: Immer wieder durchnässt herzhafter
niederrheinischer Landregen Publikum und Untergrund, die
Abendtemperaturen fühlen sich eher nach Spätherbst an als nach August
und Open-Air-Zeit.
Tocotronic nervenschonend Aber
auf der Bühne ist es trocken. Und deshalb wird dort die Rückkehr von
Schlips und Anzug in die Rock-Musik zelebriert: Die Kaiser Chiefs, die
britischen Art Brut, Kaizers Orchestra – allüberall sieht man Musiker
im feinen Zwirn auftreten. Franz Ferdinand haben in nur einem Jahr eine
erstaunliche Mutation durchgemacht: Im Vorprogramm der Pixies noch
nette, manchmal etwas eckige Jungs im Räuberzivil, steht die Band
diesmal british sophisticated in Tweed und Leinen auf der Bühne. Der
Kleiderwechsel ist Teil einer veritablen Superstar-Inszenierung: Auch
Riesentransparente mit den Gesichtern der Bandmitglieder und eine
Umbaupause von dreifacher Stadion-Dimension inklusive mindestens sieben
Checks der Gesangsmikros künden vom Image-Wandel der Kunststudenten.
Erst bei den Ansagen merkt man: Gottseidank, sie halten die Pose
zumindest nicht ganz konsequent durch.Dabei sind die eigentlichen
Helden des Festivals die gut 130 Mitglieder der «Raum 3 GbR»: Mit ihrer
Bargeldeinlage sorgen die Niederrheiner Jahr für Jahr für die
Vorfinanzierung des Festivals. Außerdem arbeiten sie unentgeltlich auf
den Gelände und bekommen so von allen am allerwenigsten von Bands mit –
alles, damit das Festival auf dem Acker überhaupt zu stemmen ist.
Höchstens 5.000 Besucher passen auf den Alten Reitplatz und begrenzen
das Budget – zwar könnte man größer werden, aber dann müsste man
umziehen und das will man nicht. Und während der Morast auf dem
Areal irgendwann so tief ist, dass man sich ernsthaft Sorgen macht,
seine Schuhe im zähen Untergrund zu verlieren, und während auf dem
Parkplatz Traktoren festgefahrene Mittelklassewagen aus dem Schlamm
ziehen, läuft sie Show ungebremst weiter: Zu den Highlights von Haldern
Pop 2005 gehören auch Phoenix aus Frankreich. Poppig präsentieren sie
eine gut gelaunte Greatest-Hits-Show von «Run Run Run» bis «If you ever
feel better», die für einige Minuten sogar den Platzregen der Sonne
weichen lässt, bevor die Schlammschlacht am späten Abend mit einem
rotzigen Mando-Diao-Auftritt zum Höhepunkt kommt. Schade
eigentlich nur, dass Tocotronic keine Lust auf Extase zu haben
scheinen: Ihre Songs präsentieren sie dermaßen, sagen wir mal,
nervenschonend, und die Ansagen sind dermaßen schwurbelig, dass
irgendwann die Stimme aus dem Publikum kommt: «Die tun so als wären sie
Ausländer, dabei sind das nur Scheiß-Deutsche...»
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