«Knallhart»: «Wir hatten einfach mehr Stil»
10. Mär 07:30
| Regisseur und Hauptdarsteller: Detlev Buck mit David Kross | Foto: Delphi |
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David Kross und Erhan Emre spielen die
Hauptrollen in Detlev Bucks Neukölln-Film «Knallhart». Ein Gespräch
über Gewalt, fremde Kulturen und den Sinn von Dreier-BMWs.
Großes Lob hat Detlev Buck für seinen neuen Film
«Knallhart» eingeheimst, der seit kurzem in den Kinos läuft. Keinen
geringen Anteil daran haben die Hauptdarsteller – allen voran der
16-jährige David Kross, der den Jugendlichen Michael spielt, der
gezwungen ist zu kämpfen, um im Berliner Problem-Stadtteil Neukölln
nicht unter die Räder zu kommen.
Und Erhan Emre, der den Drogenhändler und Clan-Boss
Hamal spielt, der Michael unter seine Fittiche nimmt. Zum Kinostart
traf die Netzeitung die beiden zum Interview. Netzeitung:
Herr Emre, sie spielen Hamal in «Knallhart», einen Drogenhändler –
niemand, der besonders nette Dinge tut, aber trotzdem noch eine der
sympathischeren Figuren in dem Film… Erhan Emre: Ja,
aber so sind die Jungs halt tatsächlich. Ich hatte es da etwas leichter
als David, es gab ja wirklich Leute, an denen ich mich orientieren
konnte. Netzeitung: Sie sind selbst in Kreuzberg aufgewachsen. Recherche im eigenen Umfeld? Emre:
Nein, nicht unbedingt in meinem eigenen Umfeld. Aber man kennt sich
halt einfach – und das sind wirklich Leute, die zwiespältig sind:
Zuhause sind sie für die Familie da und ernähren nicht nur eine
Familie. Aber sie hatten es nicht leicht in ihrer Jugend und wollten
einfach aus ihren Startlöchern herauskommen. Das, was Polischka
durchmacht, Davids Figur in dem Film, ist das, was Hamal schon hinter
sich hat. Denn auch Hamal ist jemand gewesen, der von den Älteren was
aufs Maul bekommen hat. Um da raus zu kommen, muss man einfach stärker
sein als die anderen. Netzeitung: Wie nah am Leben ist «Knallhart» für sie? Emre:
Oktay Özdemir, der Schauspieler, der im Film den Erol spielt, hat das
ziemlich genial gesagt: «In Neukölln sagen Sie mehr 'Opfer'.» Der Film
ist wahnsinnig realistisch. Netzeitung: Gilt das auch für die Gewalt, die Michael widerfährt?
| Geschäftskontakt: Hamal (Erhan Emre, r.) gibt Michael (l.) Instruktionen | Foto: Delphi |
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Emre: Selbstverständlich gab es bei uns auch
Schlägereien. Aber unsere Schlägereien waren eins zu eins – da hat man
sich verabredet und einzeln gekämpft. Heute gibt es Massenschlägereien
und teilweise vier Leute auf einen. Wir hatten, glaube ich, einfach
mehr Stil.Netzeitung: David, Du dagegen kommst aus
Bargteheide, einer kleinen Stadt in der Nähe von Hamburg. Wie bereitet
man sich da auf so eine Rolle vor? David Kross: Man
kann das nachvollziehen, wie er reagiert in manchen Punkten und man
spielt sich auch ein bisschen selber in dieser Rolle – man versucht,
ein bisschen hineinzubringen, wie man selber fühlen würde. Netzeitung: Wie bist Du eigentlich mit Detlev Buck in Kontakt gekommen? Kross:
Ich spiele Theater - Bucks Tochter hat mich entdeckt, weil sie in der
Nähe wohnen. Ich bin dann zu ihnen nach Hause, habe mit der Tochter
zusammen ein Casting gemacht und wurde geschlagen. Dann bin ich noch
viermal nach Berlin gefahren und dann hat er mich angerufen, dass ich
die Rolle habe. Netzeitung: Äh… Geschlagen? Kross:
ja, da gibt es eine Szene mit Michaels Mutter. Die haben wir geprobt
und da wird man halt immer geschlagen. Und sie hat die Szene sehr ernst
genommen. Netzeitung: Hattest Du eigentlich einen Stuntman? Michael bekommt es ja bei weitem nicht nur mit seiner Mutter zu tun.
| Knallhart: Topfschlagen à la Neukölln | Foto: Delphi |
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Kross: Eigentlich wollte ich alles selber
machen. Aber ich hatte auch noch einen Stuntman – zumindest bei der
«Topfschlag»-Szene, in der Erol versucht, ihn mit verbundenen Augen und
einem Baseball-Schläger zu finden. Sonst war immer jemand da und hat
mir gesagt, was ich machen muss. Das ist ungefährlich, wirklich. Und
ich habe Oktay ganz und gar vertraut.Netzeitung: Konnten Sie selber auch Ideen einbringen? Emre:
Ich konnte Buck zum Beispiel davon überzeugen, dass die erste Begegnung
zwischen Polischka und Hamal nicht in dessen Wohnung sein kann.
Eigentlich sollte Polischka zu ihm an die Tür klopfen und nach Hamal
fragen, um ihm ein Handy zu verkaufen. Aber das würde nie im Leben
funktionieren. So ein Typ macht das nicht – der macht sofort die Tür
wieder zu und sagt: «Verpiss Dich, Junge, und lass Dich hier nie wieder
blicken.» Das musste neutraler Boden sein und ich konnte Buck
davon überzeugen, dass er deshalb noch eine Woche vorher eine Szene in
einem Barbiersalon ins Drehbuch schreibt. Der Ausstatter hat mich
gehasst. Aber ich glaube, es ist eine schöne Szene geworden. Netzeitung: Was findet Hamal denn an Michael Polischka, dass er ihm einen Job anbietet?
| Beim Barbier: Michael (M.) und Hamal (im Stuhl) lernen sich kennen | Foto: Delphi |
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Emre: Hamal ist davon beeindruckt, dass so ein
16-jähriger Junge einfach so zu ihm kommt. Sein Freund hat ja eher die
Haltung zu sagen: «Wir können ihn da nicht stören, Das geht nicht.» Und
Polischka rennt mit seinem Unwissen da rein und sagt: «Wer ist Hamal?
Ich muss ein Handy verkaufen.»Netzeitung: David, wie hast Du eigentlich das gelernt, was Du brauchtest, um Deine Rolle zu spielen? Kross:
Wie gesagt, ich spiele Theater. Das ist zwar nicht sooo groß, aber es
ist eine Erfahrung. Ich finde auch, dass Theater schwerer ist. Außerdem
haben wir sehr oft mit den Schauspielern geprobt, das hat mir auch sehr
weiter geholfen. Und ich hatte für kurze Zeit einen Schauspiel-Coach. Netzeitung: Traumberuf Schauspieler? Kross:
Vor dem Film wusste ich es noch nicht so ganz. Aber es macht mir sehr
viel Spaß und ich werde versuchen, auf eine Schauspielschule zu kommen. Netzeitung: Wie weint man im Film? Kross:
Diese Szene war meine schwerste Szene. Im Casting war sie gut gelaufen
und dann denkt man: «Oh Scheiße, da muss ich mich jetzt mal anstrengen,
dass das wieder so gut klappt.» Aber es hat wieder funktioniert und das
hat mich auch sehr gefreut. Also die Tränen sind echt. Emre: Ja, das war ein sehr intensiver Moment. Netzeitung: Herr Emre, in «Knallhart» geht es auch um Konflikte zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen. Sie sind selbst Türke… Emre:
Der Film soll überhaupt nicht zeigen: diese Gruppe ist so, diese Gruppe
ist so, das ist gut, das ist schlecht. Oder: Seht Euch nur den armen
Jungen an, was dem passiert zwischen den ganzen Ausländern. Ganz im
Gegenteil, man sollte überlegen, wieso das so ist: Warum gibt es diese
Probleme nicht in Zehlendorf? Warum gibt es sie in Neukölln? Und warum
gibt es sie in Kreuzberg? Was ich hier immer erlebe, ist, dass
man fremden Kulturen etwas vorschreiben will, bevor man überhaupt mal
anfängt, einen Dialog zu haben. Toleranz fängt damit an zu sagen:
«Okay, das sind Eure Kulturen, die akzeptieren wir. Wir können damit
leben, wir wollen damit leben. Außerdem: Vor 40 Jahren wart Ihr hier
und habt alles mit aufgebaut.» Ich glaube, ein bisschen Dankbarkeit
wäre nicht schlecht. Netzeitung: Im Moment scheinen viele eher davon auszugehen, dass man zu tolerant war. Emre:
Ich glaube, man hat die Ausländer ignoriert. Das ist eher eine Ausrede
zu sagen: «Wir haben sie in Ruhe gelassen. Hätten sie doch machen
können, was sie wollen.» Ich glaube, es war nicht so: Die Leute wurden
erst mal in eine Ecke geschoben: «Bleibt ja unter euch. Macht eure
Arbeit, aber lasst uns in Ruhe.» Netzeitung: Man lebt nebeneinander her. Emre:
Ja. Und die Generation, die jetzt 16 oder 17 ist, leidet darunter. Die
haben wirklich alle ein Parallel-Leben. Und wenn das erste, was ein
Jugendlicher sich mit 18 leistet, ein BMW ist, selbst, wenn er ihn
mietet, und dann die Musik aufdreht, dann sehen viele einfach nur einen
Proll. Aber die Realität ist, dass das seine Freiheit ist, weil er sich
zuhause sein Zimmer mit drei Leuten teilen muss. Da wird wirklich die
Kultur gelebt, aus der er kommt, und da kann er nicht machen, was er
will. Und nur auf der Straße hat er seine Freiheit. Das Gespräch führte Kai Kolwitz.
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