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STUDENTENJOB MEDIKAMENTENTESTER Eine Woche im Pharmaknast Von Kai Kolwitz Martin und Thorsten vermieten ihre Körper - als Probanden bei der Erforschung neuer Arzneimittel. Vor allem Studenten sind Stammkunden auf dem "Pharmastrich". Für den schnellen Euro nehmen sie Nebenwirkungen von Brechreiz bis Impotenz in Kauf. "Eigentlich war es wie in einem Sanatorium", erzählt Martin, "es gab eine große Terrasse und Liegestühle. Man durfte nur nicht in der prallen Sonne sitzen." Der 27-Jährige hat eine geruhsame Woche hinter sich: Kaum Bewegung, zehn Bücher ausgelesen - und einen Scheck über 2000 Euro gab es auch noch zum Abschied. Denn Martin hat Versuchskaninchen gespielt und ein Medikament zur Blutdrucksenkung an sich ausprobieren lassen. Denn bis ein Arzneimittel in Deutschland seine Zulassung erhält, haben es in der Regel bereits mehrere tausend Menschen eingenommen, die meisten von ihnen gesund und nicht selten im Besitz eines Studentenausweises. "Es sind hauptsächlich Medizinstudenten, die zu uns kommen", sagt Gerd Mikus. Der Arzneimittelforscher lehrt an der Uni Heidelberg und steht der Arbeitsgemeinschaft für angewandte Humanpharmakologie vor. "Teils kommen sie aus Interesse und teils auch, um sich damit ihren Lebensunterhalt aufzubessern." Selbst Mohnkuchen ist verboten Rund 200 Euro erhält, wer sich in Heidelberg als Gesunder ins Krankenhausbett legt. Bei privaten Unternehmen wie Parexel in Berlin, Focus in Neuss oder Tropon in Köln gehen auch mal 1400 Euro für ein langes Wochenende über den Tisch - so wie bei Thorsten, der schon zweimal seinen Körper zur Verfügung gestellt hat: "Die Einstellung der Leute ist entweder 'leicht verdientes Geld' oder 'Ich brauch Kohle, egal wie'. Bei mir war es beides."
Thorsten selbst steckte mitten im Examen und wollte nicht nebenher jobben gehen. Mit dem Pharma-Honorar waren bei bescheidenen Ausgaben drei Monate finanziell gesichert. Natürlich kamen zu dem Wochenende unter Beobachtung noch diverse Vor- und Nachuntersuchungen sowie einige Regeln zur Lebensplanung: keine Zigaretten, kein Alkohol, keine Drogen in den drei Monaten vor dem Termin - und keinen Mohnkuchen, weil auch der die Werte verfälscht hätte. Thorsten wäre sogar fast ausgeschlossen worden, weil er kurz vor dem Termin noch Fußball gespielt hatte: Der Muskelkater sorgte dafür, dass die Laktatwerte im Körper höher waren, als man das in der Heidelberger Klinik gern sieht. Vor dem Testbeginn zur Spermaprobe Schnelles Geld ohne Risiko? "Die Sicherheit hat alleroberste Priorität", betont Mikus. "Nach den Recherchen sind Komplikationen auch bei der Erstanwendung sehr selten." Aber: "Es gibt Nebenwirkungen. Bei Opiaten ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich die Probanden erst einmal übergeben müssen. Und das passiert auch."
Auch Thorsten musste bei den Erklärungen erstmal trocken schlucken. Das Medikament zur Behandlung von Prostatakrebs, das an ihm ausprobiert wurde, machte impotent für die Dauer der Studie. Nicht, dass es während der Kasernierung groß gestört hätte, aber ein komisches Gefühl blieb doch. Und damit nicht genug - vor Testbeginn ging es in die Charité zur Spermaprobe, erinnert sich der Proband mit Schaudern: "Das war wie in einem schlechten Film. Da schiebt dich ein Medizinstudent in einen schäbigen Raum. Im Fernsehen läuft ein Porno, auf dem Tisch liegen so Heftchen herum - und nachher musst du mit deinem Döschen quer durch das Krankenhaus laufen und hast das Gefühl, dass jeder weiß, was du da mit Dir herumträgst ..." Das Geld bleibt Sieger gegen ein mulmiges Gefühl Während und nach der Studie merkte der Lehramtsstudent allerdings nichts von Komplikationen. Auch Martin hatte nur leichte Kopfschmerzen, sonst keine Probleme. Dafür erinnern sich beide nur mit Widerwillen an das Essen während der Kasernierung: genau abgezählte Rationen, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen, permanentes Magenknurren, Krankenhauskost - selbst die Getränke wurden abgemessen. "Bei uns haben dann die Wurstesser mit den Käsefans die Rationen getauscht", erzählt Martin. Aber Thorsten und Martin sind sich einig: Risiken hin, komisches Gefühl her - sollte noch einmal die große Geldnot auftauchen, würden sie sich wieder in die Hände der Forscher begeben. "Mein Lebensstil lässt sich einfach nicht mit 500 Euro im Monat durchhalten", sagt Martin. Und wenn man viel Glück hat, kann die Zeit im Pharma-Arrest sogar recht unterhaltsam sein. In Heidelberg zum Beispiel wurden schon Studien zur Wirkung von Cannabis und Ecstasy durchgeführt. "Allerdings möchten wir dafür Probanden, die mit den Wirkstoffen noch keine Erfahrung haben", so Mikus, "sonst wecken wir vielleicht Erwartungen, die wir nicht erfüllen können."
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